Interview mit Clara Marie Hendel
Im Mai 2022 feierte HEDWIG AND THE ANGRY INCH mit Nick Körber in der
Hauptrolle seine Premiere in Annaberg Buchholz.
(*wir haben darüber berichtet).
Am 07.11 und 10.11.2023 kommt diese Produktion nun nach Leipzig.
Genauer gesagt in die Moritzbastei.
Die Rolle von Hedwigs Ehemann Yitzhak wird bei beiden Terminen die junge Berliner
Musicaldarstellerin Clara Marie Hendel übernehmen.
Leidenschaft Musical hatte die Gelegenheit, Clara Marie zu einem kleinen Interview zu
treffen.
Liebe Clara Marie, wie schön Dich kennenzulernen. Wie schön, dass Du Dir die Zeit genommen hast, einige Fragen zu beantworten.
Du wirst bei den beiden Shows am 07.11. und 10.11.2023 in der Moritzbastei gemeinsam mit Nick Körber in HEDWIG AND THE ANGRY INCH als Yitzhak auf der Bühne stehen.
Nun ist HEDWIG ja kein typisches Musical. Es ist doch eher ein Rock-Konzert mit biografischen Monologen und ist schon auf vielen Bühnen gespielt worden.
Wo und wann hattest Du zum ersten Mal eine Begegnung mit Stück?
Ich kenne Tanja (die sonst den Yitzhak spielt) noch aus dem Studium in Osnabrück.
Sie sang damals vor vier Jahren Yitzhaks Song (“Unterm Strich”) beim
Bundeswettbewerb Gesang Berlin und daraufhin habe ich mal weiter über das Stück
recherchiert.
Ohne die Bühnenperformance zu sehen, war die Musik für mich aber auch erstmal verwirrend.
So richtig eingetaucht bin ich dann erst mit der Erarbeitung des Stückes im September und habe es dann sofort lieben gelernt.
Was ist für Dich das Besondere an dem Stück und an deiner Rolle?
Allein die Thematik, Hedwigs Geschichte und dieses Konzept einer durchinszenierten Ein-Personen-Show (mit Roadie, Band und unglaublich schwarzem Humor) machen das Stück für mich schon besonders. Hinzu kommt, dass diese (für mich wirklich faszinierende) Hauptperson, 90 Minuten lang durch den Abend führt, aber dabei nicht unbedingt eine Sympathieträgerin ist.
Man durchlebt dadurch im Publikum sämtliche emotionale Stadien von Sympathie bis Abneigung
und ist dazu aufgefordert immer wieder wach und kritisch zu sein.
Für mich spiegelt meine Rolle auch genau diesen Zwiespalt wider: Liebe auf der einen Seite, Schmerz
und toxische Abhängigkeit auf der anderen Seite. Eine Rolle zu spielen, die mit so wenig Worten all das ausdrücken muss, macht sie für mich besonders. Nicht zu vergessen ist aber auch Yitzhaks Background als jüdische Dragqueen in den Zeiten der DDR, der seine Geschichte für mich zusätzlich zu einem hochsensiblen Thema macht.
Das Stück hat eine sehr große Aussage. Welchen Einfluss hat das auf Dich? Künstlerisch wie vielleicht auch persönlich?
Für mich ist es beides, eine Herausforderung und auch eine große Ehre direkt am
Anfang meiner Karriere bei einem so wichtigen, aussagekräftigen Stück dabei zu
sein. Vor allem in Hinblick auf die recht starke politische und gesellschaftliche
Polarisierung, die das Stück mit sich bringt, habe ich mir echt Gedanken gemacht, ob
ich so früh einer solchen Aufgabe überhaupt gewachsen sein kann.
Letztendlich ist das aber für mich genau der richtige Schritt weil es ein Ja zu Mut, Diversität,
Unkonventionalität und starken, vielschichtigen Bühnenfiguren im Musical bedeutet.
Damit früh anzufangen, finde ich gut und bringt mich selber ein Stück weiter in
Hinblick auf meine eigene künstlerische und private Identität.
Hedwigs Ehemann Yitzhak hat im Stück ja nicht viel Text, ist es schwierig, da den Charakter und die Aussage der Person im Stück dem Publikum zu vermitteln?
Auf jeden Fall! Eines der Dinge, die ich im Studium über mich selbst gelernt habe war,
dass ich mich im Schauspiel gerne sehr schnell in Texten und Worten flüchte. Jetzt
eine Figur zu spielen, die genau das nicht tut sondern zu Beginn des Stücks alles nur
nonverbal ausdrückt, war für mich ein bisschen Ironie des Schicksals.
Bei der letzten Vorstellung in Greiz gab es aber dann aus dem Publikum das Feedback, dass mein
emotionales Innenleben richtig wahrgenommen und verstanden wurde - das war für
mich dann ein total tolles Erfolgserlebnis.
Ist die Rolle von Yitzhak für Dich schon immer ein Wunsch gewesen?
Nein, da ich ja ziemlich spontan erst für das Stück eingesprungen bin. Bis zu der
Anfrage im September kannte ich es nur oberflächlich. Ich bin mir aber sicher, dass
es anders gewesen wäre, wenn ich das Stück vorher bereits schon einmal gesehen
hätte.
Für viele Musicalfans ist HEDWIG UND THE ANGRY INCH eher ein Stück, das ein Nischendasein fristet. Wie siehst Du das und woran liegt das?
Das Musical kommt ja ursprünglich aus New York. Die Figur der Hedwig wurde dort
von Stephen Trask seinerzeit für einen Travestie-Club erschaffen und coverte dort
als Dragqueen Rock-Klassiker. Hieraus entstand neben einem Musical und einem
Film eben auch eine Fangemeinde, die kostümiert zu den Shows anreiste um Hedwig
zu zelebrieren.
Somit hat das Stück natürlich irgendwo seinen Ursprung in einer „Nische“.
Ein wenig später hat das Stück es aber an den Broadway geschafft, vier Tony Awards
gewonnen und findet seitdem international immer wieder seinen Platz auf den
Spielplänen.
Ich glaube und hoffe, HEDWIG ist mittlerweile auch in Deutschland mehr
als ein Nischen-Musical. Und vielleicht ist auch mittlerweile die „Nische“ gar keine
Nische mehr.
Natürlich ist das Musical kein Wohlfühl-Musical, in dem man sich bei harmonischem
Orchesterklang zurücklehnen und dem zehnköpfigen Ensemble
beim Tanzen zuschauen kann. Und die Thematik von Geschlechtsangleichung und
Queersein mag für das breite deutsche Publikum hier und da auch noch
herausfordernd sein.
Aber genau deshalb, finde ich, darf so ein Stück nicht einfach in eine Nische geschoben werden.
Im Endeffekt geht es nebenbei ja auch noch um Identitätsfindung und um Liebe, was ich durchaus als massentauglich empfinde.
Du hast ja bereits während Deines Studiums einige Musicalrollen gespielt, z. B. Mimi Marquez in RENT, COME BACK KARL MARX, DIE KLEINBÜRGERHOCHZEIT, DAS GEHEIMNIS DES EDWIN DROOD und in diesem Sommer in Ettlingen die Velcro in
SOHO CINDERELLA.
Diese unterscheiden sich aber doch sehr von der Rolle Yitzhak, was hat Dich daran besonders gereizt?
Das stimmt, nach meinem vergangen Sommer in Ettlingen, war Yitzhak tatsächlich
das komplette Kontrastprogramm.
In Ettlingen durfte ich für die deutsche Erstaufführung von SOHO CINDERELLA* eine Rolle komplett neu anlegen und in einem langen Probenprozess erarbeiten. Für HEDWIG musste ich als spontane
Einspringerin eine komplett fertig inszenierte Produktion vom Video lernen.
Velcro (Soho Cinderella*) war aufgeweckt, authentisch, gesprächig; Yitzhak ist langsamer,
unsicher und die meiste Zeit stumm. Es sind genau diese Kontraste die ich am
spannendsten fand. Hinzu kommt dass Yitzhak an seinem persönlichen Wendepunkt
im Stück natürlich einen unfassbar tollen Solo Song hat, auf den ich mich wahnsinnig
gefreut habe!
Was wäre noch eine große Wunschrolle für Dich?
Oh da gibt es so viele..
Ich reihe mich mal in die Riegen der Bescheidenen ein: Elphaba in Wicked!
Was wünscht Du Dir für die beiden Shows im November in der Moritzbastei?
Natürlich ein volles Haus mit einem Publikum, welches Freude an diesen tollen,
ungewöhnlichen Figuren findet und davon im Denken ein Stück mit nach Hause
nehmen kann.
Für mich sind es planmäßig die zwei letzten Vorstellungen als Yitzhak. Somit
wünsche ich mir für mich selbst auch, dass ich diese faszinierende Figur noch einmal
vertiefen und die Zeit auf der Bühne genießen kann.
Liebe Clara Marie, vielen lieben Dank für dieses nette Interview und Dir und dem
gesamten Team von HEDWIG AN THE ANGRY INCH ganz viel Spaß und Erfolg.
Vielen Dank auch von meiner Seite! Bis hoffentlich ganz bald, in der Moritzbastei.